Rechtsanwaltskanzlei Josef A. Mohr - Fachanwalt für Familienrecht

 

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Sorgerecht für eheliche Kinder 

 

(Auszug aus meinem Sorgerechtsvortrag, Stand: 01.07.2006)


Seit 01.07.1998 entscheidet das Familiengericht bei der Scheidung nicht mehr automatisch über das Sorgerecht, sondern nur noch in zwei Fällen:

1. Stellt ein Elternteil einen Antrag auf Alleinübertragung der elterlichen Sorge, dann muss das Gericht feststellen, ob die Alleinübertragung dem Wohl des Kindes besser entspricht als das gemeinsame Sorgerecht. Nur wenn es dies feststellen kann, darf es dem Antrag stattgeben.

Teilweise argumentieren deutsche Richter mit einer seltsamen Logik:

Wenn zwischen Eltern Streit herrscht, sei die Alleinsorge besser. Das heißt im Klartext, dass ein Elternteil nur für kräftigen Streit zu sorgen braucht, und er erhält das Alleinsorgerecht, wenn er sich vorher der Kinder bemächtigt hat. Mit anderen Worten: Wer diesbezüglich frühzeitig Fakten schafft, bei dem bleibt grds. das Kind. Das kommt einer direkten richterlichen Aufforderung zur strafbaren Kindesentführung gleich.

2. Das Familiengericht kann auch von sich aus tätig werden, wenn es von einer Gefährdung der Kinder erfährt. Es kann die Kinder in Extremfällen sogar beiden Eltern absprechen und eine sonstige Betreuung anordnen.

Der Streit um das alleinige Sorgerecht dürfte sich in den meisten Fällen jedoch gar nicht lohnen, denn das gemeinsame Sorgerecht ist eine Mogelpackung: Wer das Kind in Obhut hat, kann fast alles alleine entscheiden:

Der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält (Obhut), kann Angelegenheiten des täglichen Lebens (Alltagsentscheidungen) alleine regeln. Das sind solche Angelegenheiten, die häufig vor­kommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Nur bei

- einmaligen Entscheidungen und insbesondere bei

- Entscheidungen mit erheblicher Bedeutung für die Entwicklung des Kindes, auch wenn sie häufig vorkommen,

muss eine vorherige gemeinsame Entscheidung gefundenen werden. Dies gilt beispielsweise bei der Frage, ob ein Schulwechsel stattfinden soll oder welchen Schultyp das Kind besuchen soll.

Ausnahme: Bei Gefahr in Verzug kann jeder Elternteil alleine handeln.

Kann diese vorherige gemeinsame Entscheidung nicht erreicht werden, kann das Familiengericht die Zustimmung des anderen Elternteils ersetzen.

Beantragen die Eltern übereinstimmend, das Sorgerecht auf einen von ihnen alleine zu über­tragen, ist das Gericht an diesen übereinstimmenden Antrag gebunden, es sei denn, durch diesen Antrag würde das Kindeswohl gefährdet.

Ist das Kind aber schon 14 Jahre alt, kann es dem übereinstimmenden Antrag der Eltern widerspre­chen. Dann muss das Gericht von sich aus prüfen, was dem Kindeswohl am besten entspricht.

Kommt es zu einer gerichtlichen Entscheidung über das Sorgerecht, orientieren sich deutsche Richter u.a. an folgenden Kriterien:

- Förderungsprinzip, also der Frage, welche Lösung für die Entwicklung des Kindes vor­aussichtlich förderlicher sein wird.

- Kontinuitätsprinzip, wo das Bedürfnis des Kindes nach Kontinuität seiner Lebensverhältnis­se am ehesten gewährleistet wird.

Häufig nehmen Richter fehlerhaft die Versorgungskontinuität als Maßstab für ihre Entscheidung. Ist das Kind bei dem betreuenden Elternteil materiell gut
versorgt, hat es sich in der aktuellen Umgebung bis hin zum Kindergarten und der Schule eingelebt, dann bleibt es auch bei diesem Elternteil, egal ob das Kind manipuliert und für sein ganzes Leben seelisch verstümmelt wird oder nicht.

Dieser Ansatz verkennt, dass Kinder notfalls auch in beengten räumlichen Verhältnissen etc. leben und sich entwickeln können. Sie können auch ohne Schaden umziehen und einen neuen Freundeskreis aufbauen, wie es beispielsweise Tausende von Kindern der regelmäßig umziehenden Bundeswehrangehörigen tun müssen. Sie gehen aber zugrunde, wenn sie in beengten psychischen Verhältnissen leben, und das ist der Fall, wenn Kinder einem Elternteil gegenüber entfremdet werden.

Für die Identitätsentwicklung der Kinder und damit für ihren gesamten weiteren Lebensweg ist es wichtig, eine eigenständige Beziehung zu beiden Elternteilen aufbauen und pflegen zu können. Ist dies nicht der Fall, muss interveniert werden, denn die Folgen starker Entfremdung sind trauma­tisierend und prägen das ganze Leben des Kindes: Die Entwicklung einer eigenen Identität des Kin­des, eines gesunden Selbstwertgefühls und Selbstvertrauens sowie einer eigenen Wertskala wird eingeschränkt, ebenso die Bindungs- und Beziehungsfähigkeit des Kindes als Erwachsener sowie seine Leistungsfähigkeit. Kontaktschwierigkeiten zu Gleichaltrigen häufen sich. Das Kind wird verstärkt gewalttätig entweder gegen sich selbst bis hin zum Suizid oder gegen andere. Es kommt zu Ablösungsproblemen aus dem Elternhaus in Form von gewaltsamen Ablöseerscheinun­gen oder durch Unfähigkeit, überhaupt eine Ablösung herbeizuführen. Es treten vermehrt Depressio­nen, Schizophrenie, Sektenmitgliedschaft, Alkohol- und Drogenprobleme auf. Diese verheeren­den Folgen sind gute Gründe, sich für die Kinder und gegen die Entfremder einzusetzen, statt es beim herkömmlichen Nichtstun zu belassen.

Somit ist die Fähigkeit und Bereitschaft eines Elternteils, die Bindung des Kindes zum anderen Elternteil zu fördern, die sogenannte Bindungstoleranz, viel wichtiger als Fragen des momentanen geografischen Aufenthaltes des Kindes oder einer ordnungsgemäßen materiellen Versorgung. Statt der Versorgungskontinuität kommt es daher für die richterliche Entscheidung maßgeblich auf die Bindungskontinuität an. Bei dem Elternteil, bei dem die Voraussetzungen dafür vorliegen, der Bindungstoleranz statt Entfremdung praktiziert, sollte das Kind leben.

Das Gericht bedient sich im Sorgerechtsstreit des Jugendamtes, um ein besseres Bild der familiären Situation zu erhalten. Die Praxis sieht leider sehr ernüchternd aus: Viele Jugendämter sind mit dieser Aufgabe völlig überfordert. Die Defizite reichen von Unkenntnis über Burn-Out-Syndrom bis hin zur persönlichen Identifikation des Jugendamtsmitarbeiters mit einem Elternteil.

Das Gericht holt in der Regel auch ein psychologisches Gutachten ein. Die problematische Qualität dieser Gutachten und damit ihr Aussagegehalt zeigt eine Untersuchung von Prof. Fthenakis, München: Von 30 von ihm untersuchten psychologischen Gutachten in sorge- oder Umgangsrechts­streitigkeiten entsprach keines den gesetzlichen Anforderungen und genau die Hälfte, 15, kam zu Empfehlungen, die sich nicht durch die jeweils vorausgegangenen gutachterlichen Erhebungen rechtfertigen ließen.

Bedauerlicherweise übernehmen viele Richter kritiklos die Stellungnahmen der Jugendämter und Gutacher und delegieren damit faktisch ihr Richteramt an diese Personen. Das ist rechtswidrig! Diese Fehlleistung liegt nicht nur an den persönlichen Einstellungen dieser Richter, sondern auch an unserem Rechtssystem, das auf die richterliche Beurteilung so komplexer familienpsycho­logischer Sachverhalte gar nicht eingerichtet ist.

Auch nach einer Scheidung bleiben Sie Eltern, sogar wenn einem von Ihnen das alleinige Sor­gerecht zugewiesen wird.

Nehmen Sie die Auseinandersetzung um das Sorgerecht nicht zum Vorwand, einen Unter­haltsanspruch für sich selbst wegen Kindeserziehung zu erlangen oder andererseits um keinen Unterhalt an den betreuenden Elternteil zahlen zu müssen.

Nicht die Trennung oder Scheidung der Eltern ist das größte Problem für die Kinder, sondern die damit zusammenhängenden Auseinandersetzungen. Die Trennung der Eltern verkraften die Kinder in der Regel recht gut, die bürgerkriegsähnlichen Familienschlachten aber nicht.

Das heißt nicht, dass die offenen Probleme verdrängt werden sollten. Im Gegenteil: Beispiels­weise die Auffassung, die wirtschaftliche Auseinandersetzung nicht vorzunehmen, damit die Kinder nicht belastet würden, führt häufig genau zum Gegenteil. Die Angst, über den Tisch gezogen zu werden, kann nicht abgebaut werden. Ein konstant angespanntes, vergiftetes Klima bleibt bestehen. Erst wenn die wirtschaftlichen Fragen geklärt sind, auch wenn damit zunächst einmal der ohnehin bestehende Streit offen gelegt wird, kann nach der Klärung auch auf diesem Gebiet Ruhe eintreten. Eine persönlich und wirtschaftlich sauber aufgelöste und bewältigte Paar-Ebene bereitet den Boden für eine weiterhin bestehende tragfähige Elternebene zum Wohl Ihrer Kinder. Sie bleiben beide deren Eltern.